Adobestock Brexit

"Johnsons Methode, die auf komplette Neuverhandlungen zieht, darf keinen Erfolg haben."

Jahr Peter

Von Dr. Peter Jahr MdEP

Hand aufs Herz: Verstehen Sie noch, worum es im Brexit-Drama genau geht? Ein Großteil der EU-Bürger hat, wenn man Meinungsumfragen Glauben schenkt, längst die Übersicht verloren angesichts des Streits um Deals und No-Deals, um „harte“ oder „weiche“ Varianten des Ausscheidens des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union.

Es ist schon kabarettreif, was das Mutterland der Demokratie aktuell für ein Bild liefert. Man kommt jedenfalls aus dem Staunen kaum noch heraus, wenn man sieht, wie der britische Premier Boris Johnson jeden Kredit und jede Menge Geduld der übrigen EU-Partner verspielt. Aktueller Akt im Dauer-Drama: die Frage nach einem Aufschub des für den 31. Oktober 2019 geplanten Austritts. Was derzeit in diesem Punkt stattfindet, hatte ich jedoch erwartet, wenngleich auch nicht in der Intensität, die einem Stierkampf ähnelt. Aber seien wir ehrlich: In den verbleibenden Wochen bis Ende Oktober ist es nicht mehr möglich, einen Vertrag abzuschließen – also die Variante eines Brexit mit Deal festzuzurren.

Daher ist meine persönliche Meinung, die auch viele EU-Abgeordnete teilen: Wenn uns die Engländer erklären, warum sie eine Fristverlängerung brauchen, dann wird sich niemand quer legen. Denn wir müssen bedenken: Es geht um die Sache, es geht um die Zukunft der Europäischen Union, es geht um die Bürger auf beiden Seiten. Natürlich brauchen wir auch für solch ein Verfahren einen förmlichen Antrag. Aber niemand möchte wegen ein paar Wochen oder Monaten Chaos anrichten. Doch wir haben schon immer gefordert, dass die Briten uns nicht nur sagen sollen, wogegen sie sind. Sondern dass sie auch konkrete Vorschläge vorlegen sollen.

Was beispielsweise stört sie im Detail so sehr am Vertrag, dass sie ihn ändern wollen? Denn es liegt ja ein Entwurf für einen Vertrag vor. Der ist sehr weich ausgelegt. Da steht im Wesentlichen nur drin, dass wir in den nächsten zwei Jahren ein Handelsabkommen aushandeln werden. Unsere Hauptbedingung dabei ist, dass sich zwischen Irland und Nordirland keine Grenze bilden darf. Ich wundere mich immer wieder, warum dieser Punkt so kritisch gesehen wird. Wir haben dann doch noch zwei Jahre Zeit, gemeinsam einen vernünftigen Vertrag niederzuschreiben. Und klar ist doch: Die EU wird keinen im Regen stehen lassen. Denn hier ist wirklich niemand am Chaos interessiert.

Insofern noch einmal: Wir sind willens, einen Aufschub zu geben. Dass es zum ungeregelten Austritt kommt ohne jedes Abkommen, ist für uns alle der Worst Case. Dazu zählt auch, dass das Parlament zwar einen Aufschub beantragen will, aber nicht mehr rechtzeitig dazu kommt. In einem Punkt bin ich mir aber sicher: Wenn es im Vereinigten Königreich zu Neuwahlen kommt, dann erwarte ich, dass das neue Parlament mehrheitlich solch einen Antrag stellen wird. Unabhängig davon, ob die Regierung in der Lage ist, diesen ebenfalls zu stellen oder zu unterstützen.

Wichtig ist mir aber auch, dass innerhalb der EU neben den Verhandlungen auch Pläne für das eigentlich von niemandem gewollte No-Deal-Szenario ausgearbeitet werden, falls dieses doch eintritt: Geplant ist bereits ein EU-Hilfsfonds von bis zu 780 Millionen Euro, aus dem in besonders hart vom Brexit betroffenen Mitgliedstaaten Unternehmer und Arbeitnehmer unterstützt werden sollen. Zugleich werden die Notfallplanungen für den EU-Haushalt, Verkehr und Fischerei vorangetrieben. Denn eines ist klar: Wir müssen in den aktuellen Verhandlungen immer wieder deutlich zeigen dass sich die starke Europäische Union nicht erpressen lässt. Johnsons Methode, die auf komplette Neuverhandlungen zieht, darf keinen Erfolg haben.