Peter Jahr

Die CDU muss kantiger werden und trotzdem konstruktiv bleiben

Ja, es scheint so als gäbe es bei der Union eine neue Zeitrechnung - Jahr 1 nach der verlorenen Bundestagswahl.

Gesellschaft lebt von und durch Innovation. Demokratischen Wahlen sind deren Antriebsmotor. Und bei jeder Wahl beantwortet der Wähler ganz einfach die Frage: welche politische Kraft soll in der nächsten Legislaturperiode regieren.

Die Abwahl einer Partei ist die konsequenteste Form einer Wählerreaktion. Aber in dieser robusten Wähleraktion steckt auch immer der Hinweis, wenn ihr besser geworden seid, versuchen wir’s wieder miteinander. Und um es klar zu sagen, da geht es auch nicht immer fair zu. Wählermeinungen unterliegen einem Mainstream, welcher Wahlkreisabgeordnete unberechtigt treffen kann. Denn gerade unsere sächsischen Kandidatinnen und Kandidaten zeichneten sich durch heimatverbundenes Engagement aus. Und es schmerzt natürlich, wenn dieses Engagement vom Wähler nicht honoriert wird. Dankbarkeit ist keine politische Kategorie, dies pflegte Prof. Biedenkopf immer zu sagen. Das Besondere an dieser Wahl war deren Personifizierung für das Kanzleramt in der entscheidenden Endphase. Parteiprogramme wurden in den Hintergrund gedrängt. Die Spitzenkandidaten wurde immer wahlentscheidender. Für die Union normalerweise eine Kernkompetenz. Nur diesmal nicht. Wir hatten einfach den falschen Kandidaten. Bei deren Festlegungen haben unsere Parteigremien glänzend versagt. Noch nie lag unser Bundesvorstand so weit neben dem Basiswillen. Und gerade deshalb ist eine Mitgliederbefragung für die Wahl des nächsten Vorsitzenden die angemessene Reaktion. Für mich die erste innerparteiliche, vertrauensbildende Maßnahme nach der verlorenen Wahl.

Die meistgestellte Frage an mich ist „Sag mir bitte, wofür steht die CDU eigentlich oder wofür steht sie nicht?“. 16 Jahre regierungstragend bedeutet auch, wir sind im Ungefähren verschwunden. Wir sind im Gedränge der politischen Mitte nicht mehr erkennbar. Oder wie Merz es in seiner bekannten, deutlich schrofferen, Art zu sagen pflegte „Die Union ist denkfaul geworden“. Und er hat Recht.

Fangen wir wieder an, programmatisch zu arbeiten, aber finden wir vor allem eine Sprache, die jeder versteht und wo jeder begreift, wo wir stehen. Wir müssen kantiger werden und trotzdem konstruktiv bleiben. Das ist für mich christdemokratische Politik im besten Sinne.

Dr. Peter Jahr, Mitglied des Europäischen Parlamentes

Dazu zwei Beispiele aus der europäischen Politik. Wir wollen keine Schuldenunion. Die Europäische Union hat ein europäisches Covid 19 Hilfspaket in Höhe von 807 Mrd. Euro aufgelegt, das ist mehr als das doppelte eines EU Haushaltes. Davon gehen 338 Mrd. Euro als verlorene Zuschüsse an die Länder. Diese haften selbstschuldnerisch für diese Summe. Dessen Rückzahlung ist abgesehen von blumigen Erklärungen unserer Kommissionspräsidentin nicht geklärt. Viele Mitgliedsstaaten sind der Meinung man sollte die Summe einfach stehen lassen und sich nur mit den anfallenden jährlichen Zinszahlungen beschäftigen. Genau das wäre der Einstieg in eine Schuldenunion. Die EU ist kein Einheitsstaat, sondern ein Staatenbündnis. Das heißt finanziell haftet jedes Land für sich. Das ist Subsidiarität, christlich-demokratische Politik im besten Sinne.

Ein zweites Beispiel ist das europäische Asylverfahren, welches sich zunehmend als praxisuntauglich erweist.

Die EU braucht für alle Asylbewerber zentrale Erstaufnahmeeinrichtungen. Bis zu endgültigen Asyl- oder Duldungsentscheidungen bleiben die Antragssteller dort. Danach erfolgt eine Verteilung innerhalb der EU bzw. eine Rückführung in das Herkunftsland (australisches Modell). Das Parlament hat nun das Mandat für eine neue EU-Asylagentur verabschiedet. Damit wird das bisherige Unterstützungsbüro für Asylfragen endlich zu einer vollwertigen Agentur. Dies ist ein erster kleiner Schritt in Richtung eines funktionierenden und widerstandsfähigen Asylsystems.

Nach der Wahl ist immer vor der Wahl. Wir haben die besseren Ideen, , wir haben die bessere personelle Kompetenz, sorgen wir dafür, dass dies bei den Menschen ankommt.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gesegnete Advents- u. Weihnachtszeit sowie viel Gesundheit und Kraft für die kommenden, komplexen Aufgaben.

Ihr Dr. Peter Jahr
Mitglied des Europäischen Parlamentes